Beale Trail – Documents of a Chase
Fotografien
(archival pigment prints,
je 42 × 62 cm),
Videos, Dokumente,
Fundstücke, Glossar,
2011
Über die Ambivalenz von Obsessionen,
Wiebke Elzel und Brigitte Kölle im Gespräch,
in: Beale Trail – Documents of a Chase,
Textem Verlag, Hamburg, 2011
Titelblatt des Argosy Magazine von 1964,
Virginia Room, Roanoke Public Libraries,
Roanoke, Virginia, 14.Juli 2011
Landkarte aus dem Nachlass von Peter Viemeister,
Privatarchiv, Bedford County, Virginia, 13.Juli 2011
Titelblatt der Beale Papers, Fotokopie des Original-Pamphlets,
aus: Nachlass William F. Friedman,
Marshall Research Library, Lexington, Virginia, 22. Juli, 2011
1. Beale-Chiffre, Fotokopie des Original-Pamphlets,
Nachlass William F. Friedman,
Marshall Research Library, Lexington, Virginia, 22. Juli, 2011
Handschriftliche Erinnerungen William F. Friedmans,
Marshall Research Library,
Lexington, Virginia, 12. Juli, 2011
Lösungsversuche der Beale-Chiffren,
Beale Box Jones Memorial Library,
Lynchburg, Virginia, 9.Juli 2011
Dokumente von 1806 und 1821 mit der Unterschrift eines Thomas Beale,
aus dem Gerichtsgebäude Fincastle, Botetourt County, Virginia,
Fundstücke (beglaubigte Kopien), 46,5 × 31,3 cm, gerahmt, 2011
Text
Über die Ambivalenz von Obsessionen,
Wiebke Elzel und Brigitte Kölle im Gespräch,
in: Beale Trail – Documents of a Chase,
Textem Verlag, Hamburg, 2011
Brigitte Kölle: Deine Ausstellung in der Arthur Boskamp-Stiftung trägt den Titel Beale Trail – Documents of a Chase. Deine Exponate beziehen sich auf den berühmten Goldschatz, der angeblich von Thomas J. Beale um 1820 versteckt worden sein soll. Kannst Du erläutern, was es mit dieser Geschichte auf sich hat?
Wiebke Elzel: Ja, es ist in der Tat eine ziemlich komplizierte Geschichte, auf die ich vor etwa anderthalb Jahren in einem Buch über Geheimschriften gestoßen bin. 1885 wurde in der Stadt Lynchburg in Virginia ein 23-seitiges Pamphlet mit dem Titel The Beale Papers veröffentlicht. Diese Broschüre enthält Informationen über einen angeblich von einem Thomas J. Beale und seinen Partnern in den Bergen im Bedford County, Virginia um 1820 vergrabenen Goldschatz. Das Gold soll aus einer Goldmine in Colorado stammen, welche Beale und seine Freunde während einer Büffeljagd zufällig entdeckten. Sie brachten das Gold nach Virginia, ihrem Heimatstaat, versteckten es dort und kehrten zurück nach Colorado, um noch mehr Gold zu schürfen. Beale hinterließ eine verschlossene eiserne Kiste bei seinem Freund Robert Morriss in Lynchburg, in der drei Blätter mit Geheimschriften verborgen waren, welche die Lage des Schatzes verraten sollen. Beale schrieb Morriss später, er solle die Kiste öffnen, wenn er selbst spätestens nach 10 Jahren nicht wieder auftauchte. Und natürlich tauchte er nie wieder auf. Morriss öffnete die Kiste nach etwa 20 Jahren, fand die Geheimschriften und verbrachte den Rest seines Lebens mit dem Versuch, die Chiffren zu lösen. Nachdem es ihm nicht gelang, übergab er sie schließlich einem jüngeren Freund, der ebenfalls über 20 Jahre mit dem Versuch verbrachte, die Chiffren zu entziffern. Es gelang ihm tatsächlich, eine der Chiffren mithilfe der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung als Schlüssel zu lösen, was ihn jedoch nicht viel weiter brachte. Als er schließlich nach vielen Jahren am Ende seiner Kräfte war, schrieb er das eingangs erwähnte Pamphlet, in welchem er alles, was er über die Geschichte wusste, inklusive der drei Chiffren, veröffentlichte. Seit dem Erscheinen der Beale Papers bis heute gibt es unzählige Versuche, hinter das Geheimnis der Chiffren zu kommen und den Schatz zu finden. Es gibt eine ganze Reihe sogenannter Beale-Forscher, die Jahrzehnte ihres Lebens mit dem Versuch verbringen, das Rätsel zu lösen. Seit den 1980er Jahren glauben allerdings immer mehr Forscher, dass die Geschichte eine Fiktion, eine Art literarischer Scherz sei. Auch diese Forscher verbringen oft Jahrzehnte mit dem Versuch, ihre Theorie zu beweisen.
BK: Du bist nach Amerika gefahren und hast Recherchen vor Ort gemacht; mit Personen gesprochen, die sich selbst mit dem Beale-Schatz beschäftigt haben, Orte aufgesucht, die relevant sind; Materialien zusammengetragen, die dokumentarischen Charakter haben. Wie würdest Du selbst Dein künstlerisches Vorgehen beschreiben?
WE: In meiner künstlerischen Arbeit spielt die Auseinandersetzung mit Obsessionen eine zentrale Rolle. Mich faszinieren Menschen, die von einer bestimmten Sache oder Tätigkeit derart besessen sind, dass ihr Leben davon bestimmt wird. Oft erfinde ich solche Figuren. Bei diesem Projekt ist es anders: Ich habe die Rolle einer Forscherin eingenommen, die analog zu den Beale-Forschern versucht, der Geschichte auf den Grund zu gehen. Dies führte dazu, dass ich mich in ähnlicher Weise tief in die Fakten und Theorien verstrickte, welche die Beale Papers-Geschichte ausmachen. Aber natürlich habe ich diese Recherchen vor allem als Künstlerin betrieben, was zu dem Paradox führt, dass alles, was ich während dieser tatsächlichen Recherchen tue, immer schon in gewisser Weise eine Fiktion ist.
BK: Das Interessante an Deiner Arbeit ist, dass Du gleichsam stellvertretend für den Betrachter in die Geschichte eintauchst. In manchen Filmen bist Du selbst zu sehen oder Deine Stimme ist aus dem Off zu hören. Ein bisschen erinnert mich das an die Repoussoir-Figuren in der Malerei der Renaissance und der Romantik, die eine Tiefenwirkung im Bild verstärken und zugleich den Zugang des Betrachters zum Bild erleichtern.
WE: Ja, der Betrachter sieht mir sozusagen bei meinen Recherchen zu. Oder, anders ausgedrückt, er sieht einer Beale-Forscherin bei der Arbeit zu.
BK: Und diese Beale-Forscherin wird selbst zu einem Teil der Geschichte, indem sie Eingang findet in die Notizen der anderen Beale-Forscher …
WE: Ganz genau! Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit dem Beale-Forscher Richard Greaves. Wir haben uns im Sommer in Roanoke getroffen, wo er mir unter anderem seine Landkarte schenkte, die er früher für seine Forschungen benutzte. Nach unserem Treffen hatte er einige neue Ideen die Beale-Chiffren betreffend. Und in seinen zwei Studien, die er daraufhin verfasste, beschreibt er unsere Begegnung, die für ihn ebenso inspirierend und faszinierend war wie für mich.
BK: So entsteht ein ungeheuer vielfältiges Netz an Bezügen und Querverweisen, in das auch der Betrachter gezogen wird. Alles wird plötzlich verheißungsvoll und aufgeladen mit Bedeutung, und seien es irgendwelche Höhlen oder banale amerikanische Vorstadt-Häuser, die in Deinen Fotografien zu sehen sind. Die Grenze zwischen dem, was wir zu kennen glauben und dem, was sich “dahinter” oder “darunter” verbergen könnten, wird unscharf. Wahrheit und Fiktion sind untrennbar verbunden.
Hier noch eine letzte Frage: Worin siehst Du die Relevanz dieses Beale-Schatzes und der Suche nach ihm, die seit über 150 Jahren ungebrochen anhält? Wofür steht deiner Meinung nach die Faszination der Schatz-Suche? Und was hat Dich selbst daran so fasziniert, dass Du Dich intensiv mit ihr beschäftigt hast und noch weiter beschäftigst?
WE: Der Grund dafür, dass die Geschichte nicht aufhört Menschen zu faszinieren, liegt zu einem großen Teil sicher in der Unlösbarkeit des Rätsels – würde der Schatz gefunden, oder würden die Chiffren überzeugend gelöst, oder würde es jemandem gelingen zu beweisen, dass die ganze Geschichte eine Erfindung ist, dann ginge das Faszinierende insofern verloren, als dass kein Grund für weitere Forschungen bestünde. Damit würde die Geschichte historisch. Aber das Wunderbare an der Beale Papers-Geschichte ist ja, dass es heute unmöglich erscheint, wirkliche Beweise für die eine oder andere Theorie zu finden. Selbst computerbasierte Analysen der Chiffren, welche zum Teil von sehr professionellen Kryptologen betrieben wurden, führten zu keinem Ergebnis. Das heißt jedoch nicht zwingend, dass die Chiffren nicht echt sind, da die Verschlüsselungsmethode der Chiffren sehr speziell und nicht unbedingt mit Computer-Programmen lösbar ist. Auch die genealogischen Forschungen zu den involvierten Personen bringen keine sicheren Antworten. Was den Schatz angeht, so ist neben der Möglichkeit, dass er noch immer irgendwo in den Blue Ridge Mountains verborgen liegt durchaus denkbar, dass er bereits gefunden und heimlich weggeschafft wurde. Oder natürlich auch, dass er nie existierte. Und zum letzten Teil deiner Frage, die meine eigene Faszination betrifft: Was mich besonders interessiert war ursprünglich nicht in erster Linie der Schatz oder die Suche danach, sondern die Besessenheit der Beale-Forscher. Mich fasziniert die Ambivalenz, die darin steckt. Von etwas besessen zu sein kann krankhafte, selbstzerstörerische Ausmaße annehmen – und gleichzeitig sind es aber auch gerade unsere Leidenschaften, die ungeheure Energien in uns frei setzen. Das Unheimliche ist, dass wir nicht immer wissen, in welcher Phase unserer Obsession wir uns gerade befinden. Die Beale Papers-Geschichte ist eine ausgezeichnete Metapher für dieses Phänomen.
Hohenlockstedt, 12. November 2011